Das KGB-Verhör

Von Duschanbe führt die M41 nach Osten und dann südöstlich nach Chorugh. In der Bikerwerkstatt haben wir erfahren dass das die harte Route ist und nachdem wir das Foto von der KTM des russischen Kollegen im Schlamm gesehen haben waren wir sicher: dort fahren wir nicht. Wir sollten daher von Duschanbe gleich südlich fahren und in einem Bogen dann wieder nordöstlich nach Kulob. Die Straße ist gut, hat man uns gesagt, nur von Kulob nach Chorugh ist ein Stück Sandstraße. Auf der Karte sehen wir dass diese Strecke nahe der Grenze zu Afghanistan liegt, aber der Pamir Highway im späteren Verlauf geht ja auch direkt an der afghanischen Grenze entlang.

Wir fahren also los und die Straße ist wirklich nicht schlecht. Ziemlich eben führt sie durch ein großes Tal und durch viele kleine Dörfer und Städte. In Qurghon-Teppa sehen wir einen Wegweiser nach Kulob, unser Navi will aber weiter südlich fahren. Ich überprüfe die Karte am Handy und sehe dass hier eine kleine Straße über die Berge direkt nach Kulob geht. Wir beratschlagen kurz und sind uns einig: wir fahren keine kleinen Nebenstraßen über die Berge, auch wenn die hier noch nicht so hoch sind, sie sehen eher wie kahle Hügel aus. Also weiter dem Navi nach nach Süden, der clevere Norbert hat das ja im Hotel programmiert. Wie vorgesehen schwenken wir bald danach nach Osten und die Dörfer werden kleiner, die Straße schlechter. Dafür entschädigt uns die Landschaft mit grandiosen Ansichten. Die tiefstehende Sonne badet die Berge in goldenes Licht, ein Traum für jeden Fotografen. Plötzlich stehen wir vor einem Schlagbaum. Daneben scheint die Grenze zu Afghanistan zu sein, die Straße geht aber in Tadschikistan weiter. Die beiden Grenzposten lernen wieder unsere Pässe auswendig – von Austria hat auch hier noch nie jemand gehört- und schreiben unsere Daten in noch ein dickes Buch. Dann dürfen wir weiterfahren.

Es kommen noch ein paar Dörfer, die Straße biegt wie vorgesehen nach Nordosten ab – und dann wird es abenteuerlich. Plötzlich sind wir auf einer schmalen Schotterpiste, die sich durch die baumlosen Hügel schlängelt. Die Gegend ist atemberaubend schön, es weiden Pferde, Schafe und Ziegen ohne sichtbare Hirten und wir fahren einen wilden Slalom, meist im Schritttempo, Mal rauf und Mal runter. Die Schlaglöcher sind gewaltig, wir kommen an einem Fähnchen vorbei das mitten in der Straße steckt und ein Loch markiert in dem wir samt unserer BMW als Ganzes verschwinden falls wir hineinfahren würden. Kein Mensch würde jemals wieder von uns hören. Fall die Mutter der turkmenischen Schlaglöcher das sehen würde, ginge sie weinend in ihre Küche und käme nie wieder heraus.

Ich habe keine Ahnung, wie weit wir so durch die Berge fahren müssen, die Alternative ist aber, hier ein Zelt aufzuschlagen, denn mittlerweile naht der Abend. Nach einer geschätzten Stunde – es ist noch hell – sehen wir vor uns eine große Ebene durch die ein Fluss fließt. Noch etwa zwanzig selbstmörderische Kehren auf Schotter und wir sind unten. Endlich wieder Asphalt, da geht es schneller voran, jubeln wir. Zu früh, der Asphalt ist nur in Bruchstücken vorhanden ansonsten Schotter und Steine, wie gehabt. Wenigstens wieder Dörfer, aber nirgends eine Unterkunft zum Übernachten. Die nächste Polizeikontrolle kommt wie das Amen im Gebet und ich nutze die Gelegenheit um dem Amtsorgan mein inzwischen perfektioniertes Tadschikisch vorzuführen: Zeigefinger auf mich und You Song, den Kopf schief in die offene Handfläche gelegt und „Chrrr, Chrrr“ gesagt, dazu ein kreisender Zeigefinger und ein Schulterzucken. Es klappt. Das Amtsorgan antwortet mit zweimal Händeklatschen, einem Schwall Tadschikisch und einem undeutlichen Deuter nach vorne. Das kann nun alles heißen, wir übersetzen es aber mit „In zwei Kilometern im nächsten Dorf links.“ Etwas Optimismus muss sein.

Das nächste Dorf – Parchar – ist tatsächlich etwas größer und hat sowas wie einen Hauptplatz. Nochmal kurz nachgefragt und schon radelt ein junger Tadschike vor uns bis zu einem stattlichen Haus, das ich als Verwaltungsgebäude der lokalen Konsomolzen oder als staatlichen Hochzeitspalast identifiziert hätte. Es ist aber tatsächlich ein Hotel.

Unser Wunsch nach einem Zimmer erregt allerdings Ratlosigkeit. Auf der Terrasse sitzt ein würdiger Tadschike, anscheinend der Chef, der mir viele tadschikische Fragen stellt. Ich antworte mit dem, was mir gerade einfällt und hoffe, dass etwas Passendes dabei ist. Zu uns gesellt sich ein weiterer Tadschike in Uniform, ob Polizist, Gendarm oder Postbeamter kann ich nicht feststellen, und fragt mich ebenfalls viele Dinge. Netterweise bietet er uns von seinem Abendessen an, was wir aber dankend ablehnen. Wir sitzen auf der Terrasse und warten. „Die werden wohl unser Zimmer herrichten“ denke ich, als uns plötzlich ein junger Mann in Zivil auf Englisch anspricht. Neben ihm steht ein anderer, der ein Gesicht macht wie sieben Tage Regenwetter. „KGB“ sagt er freundlich, „Wir hätten ein paar Fragen.“.

„Kein Problem.“ antworte ich, sehe mich aber schon in einer feuchten Zelle sitzen. Es stellt sich heraus, dass wir uns in einem Teil Tadschikistan bewegen, wo wir wegen der nahen Grenze zu Afghanistan nicht sein dürften. Nur hat uns das keiner gesagt. Ich biete meinen ganzen Charme auf um zu erklären warum wir hier und nicht auf der Touristenroute sind und er wirkt. Sie nehmen uns ab dass wir harmlos sind und ermahnen uns morgen möglichst direkt nach Kulob und weiter nach Chorough zu fahren, was wir ohnehin vorhaben. Netterweise gibt uns der Jüngere dann auch noch seine Telefonnummer, falls wir unterwegs nochmal Schwierigkeiten bekommen sollten. Das Gesicht des Älteren verändert sich immerhin zu sechs Tagen Regenwetter plus ein Tag leichtes Nieseln, bevor er uns Auf Wiedersehen auf Russisch sagt. Warum nur rieselt es mir dabei kalt den Rücken runter?

Als alles geklärt ist bekommen wir unser Zimmer. Kein Vergleich zum Sheraton der letzten Tage, aber es kostet immerhin auch nur ein Zehntel. Mal sehen was uns morgen erwartet.

Dushanbe

Gerade haben wir die BMW vom Service abgeholt. Sie hat jetzt neue Schlapfen (koreanische Shinko) und schaut damit martialisch aus. Die Leute vom Dushanbe Bike House sind ein Traum! Kompetent, freundlich und hilfsbereit sind sie ein unbedingter Anlaufpunkt für Motorradfahrer. Die BMW würde gründlich durchgecheckt und läuft jetzt wie neu. Ein großes Dankeschön an den Mechaniker Aziz!

Wir haben uns auch gestern und heute lange mit zufällig anwesenden Biker-Kollegen unterhalten und wertvolle Infos über die weitere Route auf dem Pamir Highway erhalten. Zuerst wollte ich diesen Teil auslassen und eine einfachere Strecke nach Osh fahren, ein Biker aus Russland hat aber gemeint, nach zehntausend Kilometer Anreise nicht den Pamir fahren geht nicht.  Da hat er wohl Recht. Außerdem müssten wir in dem Fall einen Teil der Strecke hierher zurückfahren und ich möchte in diesem Leben Bachtiyurt und seinen Kollegen nur mehr ohne Motorrad begegnen. Auch auf fünf Kilometer Tunnelfahrt im Finsteren kann ich gerne verzichten.  Er selbst wollte die harte Strecke  mit seiner KTM angehen (es gibt zwei Varianten). Heute haben wir schon Fotos gesehen wie er im Schlamm liegt und er hat auch schon um einen Abschlepp-LKW gebeten. Immerhin ist er fast dreihundert Kilometer weit gekommen.

Wir bleiben heute und morgen noch in Dushanbe, es gibt Gewitter und fallweise Regen und wir hoffen auf besseres Wetter bevor wir aufbrechen.

Duschanbe – endlich!

Es ist frueher Morgen, Bachtiyurt geht zur Arbeit mit einer Schaufel bewaffnet auf die Strasse und wir sind allein. Mir gehen alle moeglichen Szenarien durch den Kopf. Was wenn uns Bachtiyurt nicht verstanden hat und kein Abschleppwagen kommt, was wenn das Motorrad in Duschanbe nicht repariert werden kann, was wenn Bachtiyurt in den Bergen verloren geht und niemals zurueckkommt, werden wir unseren Lebensabend auf einer Strassenkehrerhuette auf fast dreitausend Metern Hoehe verbringen und werden wir jemals genuegend tadschikisch lernen um uns verstaendigen zu koennen? Draussen regnet es und die majestaetischen Berggipfel sehen uns an und schweigen. Die BMW steht mit ihrem platten Hinterreifen vor dem Haus und schweigt ebenfalls.

So gegen zehn Uhr vormittags tut sich was. Bachtiyurt kommt zurueck (Gottseidank!) und es tauchen noch ein paar durchnaesste Strassenraeumer auf. You Song wird nicht muede, immer wieder zu gestikulieren, dass wir einen Abschleppwagen brauchen, der uns nach Duschanbe bringt und Bachtiyurts Kollege zueckt sein Handy. Er will, dass ich nochmals den Motorradpraesidenten anrufe damit er einen Abschleppdienst schickt. Der spricht zwar Englisch, aendert seine Meinung aber nicht: ich soll den Hinterreifen ausbauen und in die Werkstatt bringen, dann mit dem Taxi zurueckfahren und das Motorrad holen. „Is easy“ meint er. Vielleicht fuer ihn aber nicht fuer mich, der sich mit den geprellten Rippen kaum bewegen, geschweige denn Reparaturarbeiten am Motorrad durchfuehren kann. Ein neuer Anlauf also mit einer weiteren Runde Pantomimespiel. You Song kurbelt am imaginaeren Lenkrad eines LKWs, ich stelle einen Kran dar, der das Motorrad auf den LKW hebt und beide wiederholen wir in perfektem Tadschikisch „Brrmm, brrmm!“ und „Duschanbe! Duschanbe!“.

Endlich faellt der Groschen und wir kommen eine Runde weiter. Bachtiyurts Kollege telefoniert wieder und reibt mit fragendem Blick Daumen und Zeigefinger aneinander. Dazu sagt er „Dollar“. Wir nicken eifrig und ich bedeute grosszuegig, dass ich alles zahle. Auf der Handytastatur erscheint der Betrag „300“ und Bachtiyurt verdreht die Augen. Der nette Kerl wollte nicht mal zwanzig Dollar fuer die Uebernachtung und sein geteiltes Abendessen nehmen. You Song versucht noch zu handeln, aber eigentlich haben wir keine Wahl. Der Handel gilt und ein paar Telefonate spaeter taucht ein Kleinlaster der Strassenbehoerde auf, der uns samt Gepaeck und BMW nach Duschanbe bringen soll. Das Motorrad wird russisch auf die Ladeflaeche befoerdert indem der Kleinlaster einfach rueckwaerts in einen Sandhaufen faehrt und die BMW druebergeschoben wird. Wir holen unser Gepaeck und verabschieden uns von Bachtiyurt, dem Strassenengel und seinen Kollegen. Auf nach Duschanbe in die Werkstatt!

Unterwegs bleiben wir noch mehrmals stehen um Kollegen und ihr Werkzeug mitzunehmen, zu tratschen oder irgendwelche bluehenden Bergpflanzen auszugraben und aufzuladen. Zeit spielt in Tadschikistan nicht die gleiche Rolle wie bei uns. Fuer uns aber auch nicht, denn wir sind endlich unterwegs. Nach geschaetzten zwanzig Kilometern wieder ein Halt, das ganze Zeug wird auf einen anderen Kleinlaster verladen (?) und wir draengen uns zu viert in die winzige Fahrerkabine. Es regnet in Stroemen und ich bin froh dass ich die ganze Strecke nicht auf dem Motorrad fahren muss, es geht immer wieder durch (kuerzere) Tunnel und Lawinengalerien. Etwa auf der Haelfte der Strecke bekommen Fahrer und Beifahrer Hunger und bedeuten uns „Jetzt ist Essenszeit.“ Wir bleiben also stehen und gehen in ein Restaurant wo wir alle zusammen tadschikisches Huhn mit Beilagen essen. Bezahlen tut der Beifahrer, also haben wir von unseren dreihundert Dollar noch etwas rausgerissen.

In Duschanbe angekommen bringt uns der Fahrer zielgenau zum Clubhaus des Motorradclubs, wo sich auch die Werkstaette befindet. Zwei nette Tadschiken sind da, die Englisch sprechen und gleich das Motorrad von der Ladeflaeche holen. Reifen gibt es auch und das Service ist ebenfalls kein Problem.

Morgen koennen wir die BMW schon abholen, wir werden aber mindestens zwei Tage in Duschanbe bleiben um meine Rippen auszukurieren und uns etwas zu erholen. Das Sheraton Hotel ist dafuer gerade gut genug.

Bachtiyurt, der Engel der Strasse

Am 30. April können wir nach Tadschikistan einreisen, deswegen machen wir am Morgen alles fertig. Die BMW steht im Hof des Hotels – und hat wieder einen Patschen. Der clevere Norbert packt den Airman aus, eine kleine Reifenpumpe, die er eigens für solche Zwecke mitgenommen hat, und tatsächlich, der Motor springt an und pumpt den Reifen wieder auf. Natürlich weiß keiner wie lange das halten wird, deshalb geschwind aufgepackt und losgefahren.

Die tadschikische Grenze ist nicht weit und die Straße ist gut, bis uns unser bescheuertes Navi auf zwanzig Kilometer Umweg durch usbekische Dörfer schickt. Schotter und Steine, und natürlich die Schlaglöcher in denen man Hunde begraben kann, aber die Mutter der Schlaglöcher bleibt aus und plötzlich stehen wir vor einem Grenzbalken. Das ist zwar nicht der reguläre sondern irgendeine Kontrollstelle im Niemandsland, aber die Grenzposten langweilen sich, machen Fotos mit uns und schließlich fährt einer mit dem Auto vor und bringt und zum richtigen Grenzübergang.

Als wir von der Schotterstraße einbiegen, stehen dort jede Menge Taxis und Leute. Ich werde nervös, weiche aus, will stehenbleiben und schon liegen wir wieder auf der Schnauze. Zwanzig Leute springen herbei, richten die BMW wieder auf und stellen uns wieder auf die Füße. You Song ist nichts passiert, die BMW hat einen kaputten Blinker, der aber im Nu von den Helfern wieder zusammengeklebt wird, nur mich hat’s diesmal erwischt. Ich hab mir wohl kräftig die Rippen auf der linken Seite geprellt. Im ersten Moment spüre ich nicht viel, ich will nur schnell über die Grenze. Das ist diesmal einfacher als erwartet, auf beiden Seiten geht es schnell und unbürokratisch. Noch zehn Dollar Road Tax und schon sind wir unterwegs in Tadschikistan.

Die Straße ist ein Traum, guter Asphalt und keine Löcher, also beschließen wir bis Duschanbe durchzufahren. Wir ueberholen auch ein paar Fernradfahrer – die armen Hunde, wenn die wuessten was noch vor ihnen liegt.

Die Landschaft ist völlig verschieden von Usbekistan, links und rechts hohe Berge und wir fahren durch ein fruchtbares Tal. Das Tal verengt sich schließlich immer mehr und wird zu einer Schlucht. Immer wieder gibt es grüne Flecken dazwischen wo kleine Dörfer stehen. Ich hoffe dass es so bis Duschanbe weitergeht und wir über keine Pässe fahren müssen. Leider ist dem nicht so. Etwa hundert Kilometer vor Duschanbe geht es rechts den Berghang hoch und es nimmt kein Ende. Schneebedeckte Gipfel überall und dazwischen die Bergstraße, die sich immer höher windet. Am Höhepunkt schließlich ein dunkles Loch vor uns.

Mir wird schlecht als ich die Tafel am Eingang lese: fast sechs Kilometer Tunnel. Hilft nichts, Scheinwerfer an und rein in das Loch. Drinnen ist es besser als erwartet, einige Funzeln an der Decke zeigen an wo es ungefähr weitergeht und der Straßenbelag ist einigermaßen ok. Wir tasten uns durch den Dunst und die Abgase der LKWs voran und schließlich zeigt uns ein Lichtschimmer das Ende des Tunnels an. Die Landschaft ist grandios, als wir herauskommen, aber ich habe ein seltsames Gefühl im Hintern: wir haben wieder einen Patschen.

Ich bleibe stehen und versuche den Reifen mit dem Airman wieder aufzupumpen, aber keine Chance, der Riss im Reifen hat sich wieder geöffnet und alles pfeift dort raus. Noch dazu ist jetzt auch der Tank leer, die ständige Fahrerei in den kleinen Gängen hat mehr Treibstoff gekostet als erwartet. Da die Tankanzeige der BMW nicht richtig funktioniert haben wir immer die gefahrenen Kilometer seit dem letzten Tanken als Richtwert genommen, und die stimmen jetzt gar nicht. Glück im Unglück: wir stehen kaum zwanzig Meter neben einem Straßenwärterhaus und da kommen auch schon zwei tadschikische Straßenwärter. Kaum auszudenken wenn wir die Reifenpanne im finsteren Tunnel gehabt hätten, mir gehen nicht so schnell die Ideen aus, aber daran will ich gar nicht denken.

Wir schieben also die platte BMW zum Haus, das zwar groß ist aber ziemlich verfallen ausschaut. Mit Händen und Füßen machen wir uns verständlich, dass wir einen Abschleppwagen nach Duschanbe brauchen. Die Tadschiken telefonieren, aber es gibt scheinbar kein Ergebnis. Schließlich rufe ich eine Nummer in Duschanbe an, die wir im Internet als Werkstatt gefunden haben. Es ist aber der Präsident des dortigen Motorradclubs und auch er kann keinen Abschleppwagen besorgen. Er rät mir, den kaputten Reifen selber auszubauen und per Autostopp nach Duschanbe zu fahren oder einen der vielen vorbeifahrenfen Lastwagen anzuhalten damit er uns mitnimmt. Meine Rippen tun mittlerweile höllisch weh und ich kann gar nichts tun, nichtmal die Taschen zum Haus tragen. You Song schleppt sich ab – wir werden also die Nacht hier verbringen.

Unser Gastgeber heißt Bachtiyurt Rachmanov und zeigt uns den Palast. Zwei der vielen Zimmer sind bewohnbar, in einem wird gekocht und gegessen, im anderen stehen vier Betten, ein Kanonenofen und ein Fernseher. Zum Waschen rinnt Wasser aus einem Schlauch neben der Tür, das Klo ist indisch: jenseits des Ganges, in diesem Fall noch über den Hof. Bachtiyurt teilt mit uns sein kärgliches Abendmahl (Eintopf aus Kartoffeln, Makkaroni und Getreide und Tee),

dann radebrechen wir noch ein wenig mit Hilfe eines Russisch-Wörterbuchs, das die clevere You Song in weiser Voraussicht mitgenommen hat mit Bachtiyurt und dann gehen wir schlafen. Unser Pyjama besteht wieder aus Pullis, Jacken und Thermohosen, denn es wird nicht geheizt und wir sind auf geschätzten zweitausendfünfhundert Metern. Im Bett ist es trotzdem angenehm warm und als ich irgendwann Mal kurz aufwache höre ich es draussen rauschen. Scheiße – Regen. Am nächsten Morgen regnet es leicht und die Berge liegen im Nebel. Laut Bachtiyurt soll heute ein Abschleppwagen kommen, möglicherweise haben wir ihn aber auch missverstanden. Wir warten.

Wie sich herausstellt haben wir gestern auch noch die GoPro verloren. Die war am vorderen Kotflügel befestigt und hat sich irgendwann losgerüttelt. Ich hab zwar einen kurzen Schlag am linken Schuh gespürt aber gedacht das ist ein Stein. Die meisten Videos habe ich gottseidank auf der Festplatte gespeichert, jetzt müssen wir halt mit den Handies filmen.

Sightseeing in Samarkand

Es wäre schade gewesen an Samarkand vorbeizubrausen. Von unserem Hotel aus marschieren wir etwa einen Kilometer ins Stadtzentrum und schon sehen wir die beeindruckende Kuppel der Bibi Chanum Moschee. Sie ist riesengroß und hier tummeln sich auch Touristen aus aller Welt. Wir genießen den kühlen Frühlingswind und machen einen Rundgang durch das Innere. Mit etwas Fantasie kann man sich in die Tage der Seidenstraßen-Karawanen zurück versetzen.

Von dort führt eine Promenade zum Registan-Platz, wo drei Madrassen – Koranschulen – aus dem sechzehnten Jahrhundert stehen. Auch hier besichtigen wir die herrlich restaurierten Innenhöfe, wo heute viele Geschäfte Souvenirs für Touristen anbieten.

Auf dem Rückweg kehren wir noch in einer kleinen Gaststätte ein und You Song bekommt ihre usbekische Rindssuppe, während ich an zwei Schaschlik-Spiessen kaue. Zurück im Hotel sind wir ziemlich müde, morgen ist Sonntag und wir bereiten alles für unsere Weiterreise am Montag vor.

Samarkand

Von Buchara sehen wir nicht viel mehr als ein Fernfahrer-Hotel und Reparaturwerkstätten. Nachdem sich am Morgen herausstellt, dass es auch hier keinen passenden Reifen gibt, müssen wir unsere Hoffnungen auf Samarkand legen – etwa dreihundert Kilometer mit Hassan, dem Partisanen und seinem LKW. Beim Weiterfahren sehen wir, dass wir nicht viele Sehenswürdigkeiten versäumt haben, aber in unserem Kopf sind momentan ohnehin nur kaputte Reifen.

Auf der langen Fahrt (die Straße ist noch schlechter als die, welche unseren BMW-Reifen gekillt hat) hat Hassan Zeit genug, uns sein Leben zu erzählen. Soweit wir seinen babylonischen Sermon verstehen ist er Iraner aus Mashad, fährt seit über vierzig Jahren LKWs auf der ganzen Welt als Fernfahrer und war in den siebziger Jahren im Palästinensergebiet aktiv. Wir haben lieber nicht nachgefragt was er da genau getan hat als das Stichwort „Schwarzer September“ gefallen ist. Jedenfalls ist er äußerst hilfsbereit und klappert mit mir Reparaturbuden und Reifenhändler ab. In Samarkand sollten wir fündig werden, dort wartet auch seine dreiundzwanzigjährige „Natascha“, von der er uns stundenlang vorschwärmt.

Und so ist es auch. Wir lernen im Fernfahrerhof nicht nur Natascha kennen, die schon auf ihre Monatsration wartet, sondern auch viele andere Fernfahrer, die meisten aus dem Iran. Alle total hilfsbereit und freundlich, stürzen sie sich sogleich auf die BMW und holen sie von der Containertür herunter. Das Hinterrad ist gleich ausgebaut und zusammen mit Hassan, dem Partisanen sind wir schon im Taxi unterwegs zu einem Reifenschuster. Es stellt sich heraus dass es auch in Samarkand keine neuen Reifen für die BMW gibt, aber der alte Reifen wird geflickt. Das Motorrad bleibt über Nacht im bewachten Fernfahrerlager und You Song und ich fahren mit dem Taxi in ein Hotel. Der Rezeptionist spricht erstaunlicherweise nicht nur Englisch sondern auch Koreanisch, was You Song besonders freut. Wir buchen zwei Nächte, bleiben aber schließlich noch zwei Nächte in Samarkand, weil unser Visum für Tadschikistan erst ab dem 30. April gilt. Bis Duschanbe sind es etwa dreihundert Kilometer, die wir hoffen mit dem geflickten Reifen zu schaffen. Dort haben wir eine Adresse einer Reparaturwerkstatt die neue Reifen haben und wo die BMW ein Service bekommen kann.

Als wir das Motorrad abholen schmeissen wir ein Mittagessen für das ganze Fernfahrerlager und You Song behandelt die ganze Partie mit Akupunktur. Scheinbar jeder hat Kreuz- oder Knieschmerzen oder ein verspanntes Genick. Dann verabschieden uns von Hassan, dem Partisanen. Zwei Tage Ruhe liegen vor uns und ein bisschen Sightseeing in Samarkand.

Hassan, der Partisan

Von Mary bis Turkmenabad sind es zirka 240 Kilometer und noch ein paar mehr bis zum Grenzübergang in Farab. Wir kommen gut voran, wir fahren zuerst durch Steppe, dann durch Wüste, aber die Straße ist katastrophal. Überall Schlaglöcher so tief, dass man einen Hund darin begraben könnte. Schließlich, etwa zehn Kilometer vor Turkmenabad lauert auf uns die Mutter aller Schlaglöcher. Kurze Zeit danach wird die BMW schwammig und ich weiß: Patschen am Hinterreifen.

Keine zwei Minuten nachdem ich unser Gepäck abgeladen habe bleibt auch schon ein turkmenischer SUV stehen und die beiden Insassen bieten uns Hilfe an. Wir fahren zu einer Werkstatt ein paar Kilometer weiter und ich kaufe ein Reparaturset für den Reifen.

Bei genauerer Betrachtung stellt sich aber heraus dass das nichts nützt, der Reifen ist ziemlich hinüber, die Lauffläche hat einen fünf Zentimeter langen Riss.

Gerade diskutieren wir, was wir tun können, da naht unser Retter: Hassan, der Partisan. Vierzig Tonnen LKW samt Container bremsen sich ein und ein Redeschwall aus fünf verschiedenen Sprachen prasselt auf uns nieder. Wir kriegen mit, dass er das Motorrad hinten auf den Container schnallen will und sind skeptisch. Hassan aber fackelt nicht lange. Der Containeranhänger geht hinten hydraulisch in die Knie und schon hängt die BMW waidwund hinten dran. Wir steigen zu Hassan ins Führerhaus und sind die nächsten zwei Tage Fernfahrer.

Da unser turkmenisches Transitvisum heute abläuft müssen wir unbedingt über die Grenze um Probleme und Strafzahlungen zu vermeiden. Tatsächlich sind wir etwa um sieben Uhr dort und reihen uns in die lange Schlange der Fernfahrer-LKWs ein, die darauf warten das erste Grenztor – den Vorhof zur Hölle – zu überwinden. Hassan schickt mich nach vorne um den dortigen Wächter zu bewegen, uns vorzulassen, was mir nach gestenreichen Bemühungen auch gelingt. Dann kommt die nächste Schlange und die ist noch länger. Inzwischen ist es dunkel, ich intensiviere mein Flehen vor den Wächtern des Grenzbalkens und wieder zeigen die hartgesottenen Beamten menschliche Regungen und lassen unseren LKW vor. Level drei beginnt.

Und das entwickelt sich zum Bosslevel, denn jetzt geht es ans Eingemachte: die Papiere. Viele viele Uniformierte begutachten die aufgehängte BMW, unsere Pässe werden endlos oft kontrolliert und unsere Personalien zusammen mit den Fahrzeugpapieren in großen Büchern in lange Listen eingetragen. Als das beendet ist beginnt alles wieder von vorne. Schließlich ist auch der letzte Zollbeamte davon überzeugt dass wir kein wertvolles turkmenisches Kulturgut entführen sondern nur ein Motorrad mit einem kaputten Reifen und wir dürfen passieren – zu der usbekischen Einreisestelle.

Die dortigen Beamten haben andere Tarnuniformen und Sturmgewehre, sind aber nicht minder genau. Computer stehen zwar in den Büros und werden auch verwendet, das Eintragen der Daten dauert aber ewig und zur Sicherheit wird nochmal alles händisch niedergeschrieben und auch noch kopiert. Kaum bedeutet uns der eine „Fertig“ und winkt uns weiter, kommt schon ein anderer der uns mitnimmt und die ganze Prozedur geht von vorne los. Hassan mit seinem Container geht es nicht viel besser, aber er fährt seit vierzig Jahren Fracht und kennt das alles zur Genüge.

Inzwischen ist es fast Mitternacht, draußen schwirren die Gelsen und wir sind eigentlich ziemlich fertig. Immerhin haben wir rechtzeitig Turkmenistan verlassen und hoffen auf eine Reparaturmöglichkeit in Buchara, der nächsten größeren Stadt

Mary, oh Mary

Heute morgen ist es soweit. Wir sind ausnahmsweise mal früher auf damit wir rechtzeitig nach Turkmenabad kommen. Die BMW steht vor dem Hoteleingang und ich will eine kleine Stufe runterfahren bevor wir mit dem Aufladen begonnen. Startknopf gedrückt – nichts. Ein Blick zeigt: Batterie leer. Kann eigentlich nicht sein, weil die Batterie neu ist und außerdem sind wir dauernd gefahren. Ist aber so. Nach zwei Tagen Stehen ist der Saft aus.
Der clevere Norbert hat für diesen Fall natürlich vorausgedacht und eine Starterbatterie mitgenommen. Eins von diesen nützlichen Dingern, die man auch als Taschenlampe oder Reserveakku verwenden kann. 20.000 Volt in der Jackentasche. Also schnell angehängt, Startknopf gedrückt und …nix. Der clevere Norbert hat vergessen die Starterbatterie regelmäßig neu zu laden. Eineinhalb Stunden Aufladen in der Hotelhalle bringt auch nichts, also wird die turkmenische Infrastruktur getestet. Die Hotelleute telefonieren, die Batterie wird ausgebaut und eine neue per Taxi geholt. Die erweist sich als nur halb so stark wie die alte, der Motor tut keinen Mucks.

Inzwischen keimt mir der Verdacht, dass der Starter steckt. Alte Batterie rein, eine Kompanie Turkmenen schiebt und nix. In allen Gängen blockiert das Hinterrad. Ein letzter Versuch mit einem turkmenischen Starterkabel (zwei Meter Draht zu einer Autobatterie) – gleiches Ergebnis. Die Turkmenen diskutieren, es kommt ein Neuer dazu – Ha! Er spricht Englisch und arbeitet auf BMW Autos. Kein Problem, meint er und telefoniert nach seinen Kumpeln.

Der Abschleppwagen kommt und für 40 Manat fahren wir zu einer BMW Werkstatt. Leider nur für Autos, der Chef winkt ab. Weitere 40  Manat später landen wir in Hof einer kleinen Landwirtschaft. Der Besitzer züchtet Hühner, Brieftauben und riesige Hunde und hat eine Honda Rennmaschine. Er macht sich sofort ans Werk und schon bald ist klar dass der Starter OK ist. Nach kurzer Zeit läuft die BMW wieder und ich habe keine Ahnung wie er das gemacht hat. Als alles wieder zusammengebaut ist fahre ich zum Hotel zurück.

Umheute weiter zu fahren ist es zu spät, morgen geht es in einem Rutsch bis Turkmenabad und über die Grenze.

Turkmenistan

Nach einer langen Fahrt durch die turkmenische Steppe – bei der wir auch die ersten Kamele, oder besser: Dromedare sahen – erreichten wir gerade noch bei Einbruch der Dunkelheit Mary, eine größere Stadt in Turkmenistan.

Es ist nicht so einfach, ein Hotel zu finden, weil es nur turkmenische Beschriftungen gibt und große Gebäude meist Amtsgebäude, Museen oder andere offizielle Häuser sind.

You Song hat trotzdem ein Prunkhotel ausgemacht und weil es günstig und gut ist bleiben wir zwei Nächte hier bevor wir nach Turkmenabad und dann über die Grenze nach Usbekistan fahren. Der Empfang durch ein Jungmädchen- und -burschenkomittee war überwältigend.

Abschied aus dem Iran

Wir melden uns wieder aus Ashgabat, der weißen Stadt an der Seidenstraße in Turkmenistan. Und das stimmt wirklich, eine Stadt wie auf dem Reissbrett entworfen, breite Boulevards, beeindruckende moderne Häuser und pompöse Denkmäler, viel Grün und überall Springbrunnen und Wasserfälle. Der Unterschied könnte nicht größer sein zu der Umgebung der letzten Tage.

Wir haben die längste und umständlichste Grenzprozedur seit überhaupt hinter uns (ca. 4 Stunden) und eine kalte Nacht in einer sehr bescheidenen Unterkunft auf der iranischen Seite der Grenze.

Deshalb erscheint uns das Oguzkent Sofitel Hotel in Ashgabat wie ein Palast aus 1001 Nacht und wir genießen den Luxus.

Heute geht es weiter nach Mary.