My my my my – Corona!

Wer hätte das gedacht. Meine Rehab konnte ich gerade noch beenden, einige Tage später kam der Lockdown. Corona-Pandemie. Nichts geht mehr. Schulen zu, Geschäfte zu, Kinos zu, keine Flüge mehr, keine Australien-Reise möglich. Wie lange das dauert? Keine Ahnung. Bis jetzt (Juli 2020) gibt es zwar einige Lockerungen, aber an lange Auslandsreisen ist auch weiterhin nicht zu denken.

Wir sind optimistisch und hoffen auf eine Reisemöglichkeit im Sommer 2021. Viel länger darf es auch nicht dauern, denn unsere biologische Uhr tickt. Aus Down Under 68 wurde bereits Down Under 69, es nagt der Zahn der Zeit – und zwar nicht nur an den Frauen. Manche Autoverleihfirmen machen schon Sperenzchen wenn ein über 65-Jähriger ein Auto mieten will. Bald muss ich die Gepflogenheiten aus meiner Schulzeit wieder hervorholen. Nur diesmal umgekehrt: statt zwei Jahre älter muss ich mich im Ausweis ein paar Jahre jünger machen.

Nutzt nix. Wir müssen abwarten und auf das Beste hoffen. Heuer wird es wohl nur ein Kurztrip in Österreich, die Prozedur bei einem Grenzübertritt ist zu kompliziert und kann sich sehr rasch ändern. Ich will nicht zwei Wochen in Quarantäne hocken wenn ich aus bestimmten Ländern nach Österreich zurückkehre.

Vor zwei Wochen hat mich die BWM zum ersten Mal im Stich gelassen. Ich war gottseidank nicht sehr weit von Wien weg, als sie plötzlich stehen blieb. Aus. Kein Strom, springt nicht wieder an, auch als der Pannenfahrer eine Zusatzbatterie anhängt. Schon beim Wegfahren von zuhause war die Batterie fast leer, ich hab aber mit einer kleinen Zusatzbatterie (Starterblock) gestartet und gedacht, beim Fahren wird die Batterie schon wieder geladen werden. Nix da. Fazit: Mit dem ÖAMTC in die Werkstatt nach Wien.

Heute hab ich das Motorrad wieder abgeholt. Neue Batterie und neue Benzinpumpe – alles paletti. Wären wir wie geplant heuer nach Australien gefahren würde ich jetzt noch im Outback stehen und hoffen, dass jemand vorbei kommt. Corona hat also auch etwas Gutes.

Feuer, Wasser und Titan

Ein dreiviertel Jahr später. Australien ist inzwischen abgebrannt und ersoffen. Meine Verwandlung zum Terminator schreitet voran.

Den ganzen Herbst und Winter 2019 beunruhigen uns Nachrichten und Videos von Feuerbrünsten in Australien. Die üblichen jahreszeitlichen Brände geraten anscheinend außer Kontrolle. Wir erweitern unsere Reiseausrüstung um flammenhemmende Kevlar-Klamotten und Feuerlöscher.

Im Jänner 2020 sind offenbar die Feuersbrünste erloschen. Dafür beunruhigen uns Nachrichten und Videos von Überschwemmungen in Australien. Es regnet scheinbar Schusterbuben und ganz Australien ist unter Wasser. Wir schmeißen die Kevlar-Klamotten und die Feuerlöscher raus und packen dafür Taucherbrillen und Schwimmwesten ein.

Dazwischen erwischten mich wieder die Fleischhauer vom Krankenhaus Speising. Nachdem ich schon 2016 eine künstliche Hüfte rechts eingebaut bekommen hatte, wünschte sich die linke einen kongenialen Partner aus Titan. Ich ignorierte das zwar konsequent, kam aber schließlich bald daher wie ein Besoffener auf einem Segelschiff bei Windstärke acht. „Das sieht nicht gut aus.“ stellte meine Gattin fest. Und die muss es wissen, sie ist schließlich Ärztin. „Du brauchst eine Hüftprothese. Bald“ meinte sie auch noch. „Ja, ja“ sagte ich (etwas anderes wäre mir nie in den Sinn gekommen), und dachte an einen Termin am St. Nimmerleinstag, irgendwann nach unserer Australienreise.

Es geschah wie immer. Meine Frau behielt recht. Anfang Dezember lag ich im Orthopädiespital Speising auf dem Operationstisch und schaute auf einen Plafond voller Blutspritzer. „Gar nicht gut“ dachte ich noch, bevor ich wegdämmerte. Kaum vier Stunden später wanderte ich mit Krücken um mein Bett herum, zufrieden beobachtet von den Ärzten des OP-Teams. Zwei Tage später war ich zuhause.

Jetzt ist es Februar und ich springe schon wieder herum wie ein junger Hirsch. Nächste Woche geht’s für drei Wochen auf Rehabilitationskur und ich frage mich wozu ich das überhaupt brauche. Werde die Zeit halt nutzen, um meine Taekwondo-Techniken aufzufrischen und vielleicht ein paar neue Sprungkicks lernen.

Die Vorbereitungen

Ich wache auf und meine rechte Hand juckt. Zuerst beachte ich das nicht, aber nach ein paar Minuten verkrampft sie sich zu einer lockeren Faust und beginnt rhythmisch nach oben zu zucken. Gleichzeitig fangen die Finger der linken Hand an synchron auf und zu zu schnappen. Ich liege still und ignoriere das alles. Vergeblich. Jetzt verspannt sich auch noch der linke Knöchel und schnappt mit den Zehen alle paar Sekunden nach oben. Keine Chance. Ich muss aufstehen und ein bißchen auf und ab gehen um das Gezappel los zu werden. Siebenundsechzig Jahre bin ich jetzt alt, trotzdem ein wenig früh, denke ich, um mit dem Alterszipperlein anzufangen. Gottseidank ist meine Frau Ärztin – und eine gute. Ich schildere ihr also die Symptome und ihre Augen werden schmal. Noch schmaler als gewöhnlich, denn sie ist Koreanerin. „Kommt nicht in Frage.“ sagt sie.

Das kenne ich schon. Als ich ihr vor zwei Jahren eröffnete, dass wir mit dem Motorrad in die Mongolei und weiter nach Korea fahren reagierte sie ähnlich. Im Laufe des Jahres der Vorbereitung auf diese große Reise wurden ihre Abwehrversuche dann immer schwächer. Ich bin schließlich ein Meister der Taktik ‚Steter Tropfen höhlt den Stein‘. Schlussendlich hockte sie achtzehntausend Kilometer lang auf dem Motorrad hinter mir auf dem Sack mit dem Zeltgestänge. Auf der Sitzbank war kein Platz mehr weil wir natürlich zu viel Zeug mitgenommen hatten. Ich liebe sie.

Als wir schließlich nach dreieinhalb Monaten wieder zuhause waren hatten wir beide für eine Weile genug vom Motorrad fahren. Die Route über den Pamir Highway und durch die Mongolei war beileibe kein Zuckerschlecken und ich war froh wieder den Gasfuß statt der Gashand betätigen zu können. Das gesamte Abenteuer mündete schließlich in ein Reisebuch: „Silkroad 66“ (ISBN: 978-3-200-05965-8) und eine Reihe von Multimediavorträgen in Österreich. Jetzt aber liege ich im Bett und die Gashand juckt und zuckt. Dazu schnappen die Kupplungsfinger und der linke Schaltfuß. Kein Zweifel: die BMW ruft.

Gleich nach der Rückkehr fragten uns natürlich viele, wo wir denn als Nächstes hinfahren würden. Das war nicht einfach zu beantworten. Meine Sozia hätte gesagt „In die nächste Therme. Mit dem Auto.“ aber das passte nicht zu meinem neuerworbenen Image als weltreisender Biker. Nach dieser Tour um die östliche Hälfte des Erdballs musste ich etwas ähnlich Verrücktes finden. Die Panamericana.

Ein Blick auf Google Maps zeigt: von Alaska nach Feuerland, etwa fünfundzwanzigtausend Kilometer aus der Kälte Alaskas in den mittelamerikanischen Dschungel und weiter Richtung Antarktis. Super. Ich bin beileibe nicht der einzige Wahnsinnige der diesen Trip im Kopf hat. Das schlaue Internet präsentiert viele Reiseberichte von Leuten, die das schon gemacht haben. Bei genauerer Betrachtung kommt man aber drauf, dass diese Reise noch länger dauern würde als unsere Fahrt nach Korea. Ein halbes Jahr sollte man schon einplanen, wenn man nicht wie ein Verrückter durch Nord- und Südamerika Richtung Feuerland brettern will. Das ist für uns aber derzeit noch schwierig. Zwar sind wir beide offiziell ‚in Pension‘, arbeiten aber nach wie vor in meiner Sportschule bzw. in You Song’s Akupunkturordination. Sechs Monate oder länger abhauen geht (noch) nicht.

Als Alternative bot sich Australien an. Da wollten wir ohnehin schon lange hin, weil es der letzte Kontinent ist, auf dem wir noch nicht waren. Außerdem hört man immer Wunderdinge von der fantastischen Landschaft und den relaxten Australiern. Down Under also. Und die „68“ ist auch klar: im geplanten Reisejahr 2020 sind wir beide dann achtundsechzig Jahre alt.

Ich beginne also meine bessere Hälfte zart mit australischen Dingen einzuseifen. Da ein lustiger Clip auf Youtube mit einem Känguruh „Schau mal das nette Känguruh!“, dort ein tolles Foto von einem Luxusresort an der australischen Goldküste. Vor dem Schlafengehen spiele ich eine zärtliche Melodie auf dem Didgeridoo und die Haare lasse ich länger wachsen und verfilzen um einem australischen Ureinwohner ähnlicher zu sein. Auf dem Fernseher läuft ‚Crocodile Dundee‘ vom Recorder in Dauerschleife (alle drei Teile). Nur die ‚Mad Max‘-Trilogie lasse ich wohlweislich aus, weil da könnten bei meiner Gattin ungute Erinnerungen an die Sandpisten in der Mongolei aufkommen.

Schön langsam beginnt meine List zu wirken. Die skeptischen Schnaufer meiner Holden werden seltener und ihre Blicke verweilen immer interessierter auf den vielen Hochglanzfotos australischer Sehenswürdigkeiten, die ich ihr unermüdlich vorlege. Um meine Göttergattin gnädig zu stimmen habe ich heute eine neue Sitzbank für BMW gekauft. Die alte war schon wirklich hinüber und mit Panzerband notdürftig geflickt. Auf der neuen von Touratech sitze ich zirka zwei Zentimeter tiefer und endlich komme ich auch mit beiden Füßen auf den Boden wenn die Kiste steht. Da fühlt man sich gleich viel sicherer (das Sicherheitsargument zieht immer bei den Damen). Gleichzeitig sitzt You Song jetzt aber etwas höher und bequemer. Nochmal achtzehntausend Kilometer auf einem Sack mit harten Zeltstangen kann ich ihr nicht antun.

Der geplante Reisetermin ist im Herbst 2020. Bis dahin ist noch viel zu tun. Zwar fahren wir diesmal nicht durch siebzehn Länder wie 2018 und wir brauchen auch keine sieben Visa. Die dünne Luft auf viertausend Metern Höhe im Pamir bleibt uns erspart und so Gott will werden wir keinen kirgisischen Straßenräubern mit ihrer Radarpistole begegnen. Stattdessen putzige Känguruhs, niedliche Koalas und lachende Kookaburras. (Die giftigen Spinnen, Fünf-Meter-Krokodile, Haie und Schlangen machen sicher einen großen Bogen um uns). Also: Auf nach Australien!