Heute ist der große Tag. Die BMW ist angekommen und wartet sehnsüchtig auf ihren Fahrer. Umgekehrt auch. Davor aber haben die Götter den koreanischen Zoll gesetzt. Und der ist nicht von Pappe. Ein neues Gesetz legt seit Juni fest, dass man als Ausländer in Korea mit dem eigenen Fahrzeug eine begrenzte Zeit lang fahren darf, ohne umständlich und teuer verzollen zu müssen. Gottseidank ist schon Juli. Aber der Papierkram ist abenteuerlich. Wenn man die Japaner die Preußen Asiens nennt dann schlagen die Koreaner die Japaner um Längen.
Zuerst brauche ich eine Versicherung. Geht klar, die war auch in den anderen Ländern wo wir durchgefahren sind notwendig. Ein Formular an der Grenze ausfüllen, die Prämie zahlen (die war manchmal ganz schön happig) und basta. Die erste und die zweite koreanische Versicherung lehnen dankend ab. Die dritte ebenso. Das Risiko, dass es eine Langnase mit dem Motorrad auf die Pappn haut und eine Lawine von Schadenersatzforderungen auf sie zu kommt ist ihnen zu groß. Bei der letzten arbeitet ein Bekannter meines koreanischen Freundes und der ist ihm einen Gefallen schuldig. Die koreanischen Umgangsformen lassen es nicht zu, dass er meinen Antrag ablehnt, also bewilligt er meine Versicherung. Anschließend geht er zuerst in einen Tempel um die Götter für mich gnädig zu stimmen und dann in eine Bar um sich zu betrinken.
Die erste Hürde ist genommen, doch es folgen noch viele weitere. Ohne meinen koreanischen Freund (er war Dekan an einer Wirtschaftsuniversität) hätte ich keine Chance gehabt. Den ganzen Vormittag über lädt er sich Gesetzestexte und Formulare auf seinen PC und druckt sie aus. Dann telefoniert er mit der Frachtfirma, dem Ministerium, dem Zollamt, mit Gott und der Welt, bis er endlich alles zusammen hat was wir brauchen. Beim Zoll erwischt er eine nette Beamtin, die wie meine Tochter heißt: Sora. Sie sagt uns zu, sich um alles zu kümmern, und so fahren wir los.
Als wir im Hauptgebäude des Zolls ankommen ist gerade Mittagspause. Koreaner haben immer Hunger, also gehen wir in die Kantine im fünften Stock. Die Leiterin erkundigt sich fürsorglich ob der Ausländer – ich – auch das koreanische Essen verträgt, und schon stehen wir in der Schlange zur Essensausgabe. Ich habe ein mulmiges Gefühl. Ich bin von hundert Zollbeamten in Uniform umgeben. Ich denke daran, wie ich vor vielen Jahren immer nach München Einkaufen gefahren bin und dann Husch über die Grenze nach Österreich ohne zu verzollen. Sollte mich das Schicksal jetzt ereilen?
Keine Spur, die Zollbeamten und -innen (es gibt relativ viele Mädels dabei) sind in ihr Essen vertieft und ahnen nicht welcher Schmuggler hier bei ihnen sitzt. Als alle satt sind besuchen wir Sora. Natürlich fehlen noch irgendwelche Kopien, die wir aber rasch besorgen. Sora muss das Motorrad besichtigen und fragt, wo es ist. Das wissen wir nicht, denn auf den vielen Papieren die ich bekommen habe steht es nicht drauf. Der Zollhafen von Incheon ist groß und daher telefonieren wir mit der Frachtfirma. Die sitzt in Busan, vierhundert Kilometer südlich, und weiß es auch nicht. Sie will sich aber erkundigen. Also warten wir im Erdgeschoss, wo gerade die Wiederholung eines WM-Fussballspiels von gestern auf dem Fernseher läuft. Ein paar Beamte haben scheinbar nichts zu tun, denn sie sitzen entspannt vor uns. Als England dann auch in der Wiederholung gewonnen hat kommt der Rückruf der Frachtfirma. Hurra, sie haben das Motorrad gefunden und fragen beiläufig ob wir ihre Rechnung schon bezahlt haben. Natürlich nicht, denn normalerweise erledige ich das bar, wenn ich Sachen vom Zoll abhole. Geht hier aber nicht, sondern muss von einem koreanischen Bankkonto einbezahlt werden. Ich habe kein koreanisches Bankkonto, deshalb springt mein Freund ein und überweist von dem Automaten, der praktischerweise gleich daneben steht. Kurze Zeit später hat die Frachtfirma die Bestätigung zum Zoll gefaxt und der behördlichen Besichtigung steht nicht mehr im Wege.
Gemeinsam mit Sora und einem anderen Zollbeamten fahren wir zur Spedition etwa drei Kilometer weiter – und da steht sie: unsere BMW in ihrer Kiste.
Wir packen sie aus und Sora untersucht strengen Blickes alle Taschen und die Seitenkoffer. Mit flinken Fingern lasse ich mein Spyderco Police Messer in meiner Hosentasche verschwinden bevor Sora es erblickt, denn ich habe im Zollformular angegeben keine Waffen oder Messer nach Korea einzuführen. Dann sind wir fertig. Fast. Mein Freund fährt noch mit Sora zurück zum Zollamt, wo er eine Stunde lang zwischen mehreren Büros und Gebäuden hin und herpendelt. Was er dort gemacht hat will ich gar nicht so genau wissen. Wir warten. Die BMW ist gleich angesprungen und steht noch auf der Palette. Dann kommt mein Freund zurück und wir wollen los. Halt! Zuerst die Lagergebühr bei der Spedition bezahlen inklusive Entsorgungsgebühr für die Verpackung aus China. Die darf nämlich nicht wiederverwendet werden, damit sich keine bösen chinesischen Würmer in Korea ansiedeln. Die bösen chinesischen Würmer die schon in den letzten drei Tagen aus dem Holz ins Lager gekrochen sind haben Glück gehabt.
Dann ist es soweit. Unglaublicherweise haben wir alle Formalitäten an einem Tag erledigt (danke, Oh Woo!) und wir machen uns auf zwei Rädern auf die Rückfahrt nach Ilsan, einem Vorort von Seoul, wo wir bei unseren Freunden wohnen. Das dauert etwas länger, denn in Korea dürfen Motorräder nicht auf Autobahnen oder Schnellstraßen fahren und so weist uns das Navi den Weg durch den Stadtverkehr. In den nächsten Tagen werden wir nach Jeonju und Iksan fahren um Freunde und Familie zu besuchen. Zuvor geht es aber noch ins Kukkiwon, das Taekwondo-Hauptquartier, um unsere lange Reise offiziell abzuschließen.